: Köln 13.11.1976

Köln 13.11.1976

»Der Lehrer hatte ein Tonband aufs Pult gestellt und erzählte von einem Wolf Biermann aus Berlin-Ost, der in der DDR Auftrittsverbot habe. Freunde brächten die Tonbandaufnahmen auf abenteuerlichste Weise in den Westen. Er kenne die Mutter. Die schlechte Qualität der Aufnahmen waren der Beweis für seine Worte.
Er stand mitten auf dem Platz. Zwei panzerähnliche Fahrzeuge näherten sich. Ein dicker Wasserstrahl schoss in die Menge. Die Leute sprangen zur Seite, liefen durcheinander, drängelten, schubsten, versuchten, dem Strahl zu entkommen. Ein Knall. Die Augen begannen zu brennen. Tränen liefen über sein Gesicht. Dieser Biermann und der Lehrer, die gingen neben ihm, fassten ihn unter die Achseln, klopften ihm auf die Schulter und streichelten sein Rückgrat. Solidarisieren – mitmarschieren!«
»Sie blieb stehn, zeigte ihm den Adler im Brückengeländer. Der Preußische Ikarus über der Spree. Biermann hat ihn besungen. Neun Jahre ist das her, in Köln. Am nächsten Tag haben sie ihn ausgebürgert. Ich weiß, du magst ihn nicht. Aber wenn er sang, spürte ich, da war noch etwas, das auch zu mir gehörte und mir doch fern und fremd war. Er hat in der Chausseestraße gewohnt. In der Nähe ist der Hugenotten-Friedhof, daneben das Brecht-Zentrum und gegenüber die Kneipe.«
(Aus den Romanen »Ferne Berührung«, 1999 und »Operation Texel«, 1990)