: Edgar Hilsenrath - Volker Dittrich Lesung und Gespräch im UT Connewitz in Leipzig


Edgar Hilsenrath - Volker Dittrich Lesung und Gespräch im UT Connewitz in Leipzig

Filmmitschnitt, 10.11.2008, Kamera: Martin Ritter, Ulf Wogenstein, Rahel Roffler -Eine Veranstaltung der Buchhandlung »El Libro«, Leipzig

»Der Abend ist ein Gang durch Edgar Hilsenraths Jahrhundert, ein Selbstporträt in Adressen, die meisten von ihnen unter Zwang gewählt: von der Bernburger Straße 30 in Halle an der Saale, wo er als Sohn eines jüdischen Möbelhändlers aufwuchs, über Siret in der ehemals habsburgischen Bukowina, wohin die Familie 1938 flüchten musste und wo Hilsenrath trotzdem »die schönste Zeit seines Lebens« verbrachte, weiter ins ukrainische Getto Moghilew-Podolsk, aus dem ihn die Russen im März 1944 befreiten, und schließlich über Bukarest, Haifa und New York zurück nach Deutschland.
Der Verleger Volker Dittrich begleitet diesen abenteuerlichen, lebensgefährlichen Weg mit Passagen aus Hilsenraths Gettobuch ›Nacht‹ (1964), aus seinen ostjüdischen Erinnerungen der meist autobiografischen Romane oder der berühmt gewordenen Satire »Der Nazi und der Friseur« von 1977. Zwei Jahre zuvor war Hilsenrath als international erfolgreicher Schriftsteller aus Amerika heimgekehrt, nach Berlin, wo er bis heute lebt.
In der Bundesrepublik aber stießen seine Nazisatiren zunächst auf Widerwillen: Ein Judenmörder namens Max, der den Namen seines Opfers klaut, nach Israel flieht und dort ein Volksheld wird – das ging damals nicht, auch wenn es heute, in Zeiten des Judenmörders Aue, der ebenfalls Max heißt, beinah harmlos klingt.
Edgar Hilsenrath liest selbst nur drei kurze Texte, antwortet dafür aber ausgiebig mit seiner kleinen, leisen Stimme auf Dittrichs Fragen. »Wir sollten ja erschossen werden«, sagt Hilsenrath. Und: ›Halle war eine richtige Nazistadt.« Und: ›Ich ging durch ganz Bessarabien zu Fuß.‹ Mitteleuropäische Landschaften, die kaum jemand noch auf der Karte fände, weil sie der Krieg und der Holocaust zerstörten, hat Hilsenrath abgemessen und durchbuchstabiert. Es gibt nicht mehr viele Menschen, denen man dabei zuhören kann, wie sie aus der Bukowina erzählen: jener Gegend, von der Paul Celan gesagt hat, dass in ihr Menschen und Bücher lebten.«
(Tobias Rüther, F.A.Z.)